(Ultra-) Mikrogravimetrie / (Ultra-) Mikrowaagen

Die rasch fortschreitende Entwicklung der Mikrochemie machte schon in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts die Einbeziehung auch quantitativer Verfahren sinnvoll und notwendig. Nicht immer konnte dies durch eine "Miniaturisierung" bekannter Techniken aus der bekannten Chemie bewerkstelligt werden. Das läßt sich insbesondere leicht nachvollziehen, wenn man an die Problematik denkt, die sich aus der Filtration kleinster Substanzmengen mithilfe von Papierfiltern und Glasfritten ergibt. So wie in diesem Falle notwendig, mussten andere, manchmal neue Methoden angewendet oder gegebenenfalls entwickelt werden.

Grundsätzlich aber versuchten die Mikrochemiker dieser Zeit, die ihnen bekannte Chemie für die zu bestimmenden Mengen anzupassen, das heißt, Verfahren der Gravimetrie, der Volumetrie, der Elektrochemie und andere grundsätzlich zu übernehmen.

Für die Gravimetrie wurden immer empfindlichere Waagen mit zum Teil extremem Aufwand entwickelt.

Die Ultramikrowaagen, die für das "Metallurgical Project", das heißt für die Herstellung und Untersuchung des künstlich hergestellten Elementes "Plutonium" entwickelt wurden, konnten Nanogramm-Mengen mit hoher Genauigkeit bestimmen. Sie basierten überwiegend auf dem Prinzip der Torsion dünnster Metallfäden und erforderten aufwändige Maßnahmen für jede Wägung wie absolute Temperaturkonstanz und vollkommene Erschütterungsfreiheit.

 

In vielen Fällen haben sich Mikro- und Ultramikrochemiker eine unkomplizierte Waage selbst angefertigt, die auf der physikalischen Gesetzmäßigkeit beruht, daß mikrometerdicke (und natürlich auch dickere) Stäbe aus Glas oder Metall sich unter einem Gewicht, das an einem freien Ende aufgebracht wird, so durchbiegen, daß in bestimmten Grenzen Gewicht und Absenkung des Stabes proportional sind.

Das heißt: einmal mit bekannten Gewichten geeicht, lassen sich angehängte Gewichte unmittelbar an der Durchbiegung des Drahtes (Glasfadens) ablesen.

Das Ausmass der jeweiligen Durchbiegung ist ansonsten abhängig vom Material (umgekehrt proportional zum Elastizitäts-modul) sowie von Dicke (umgekehrt proprtional zur 4. Potenz des Radius!) und Länge (proportional zur 3. Potenz) des Stabes (zwischen Aufhängung und Last).

So lassen sich mit wenig Aufwand durch gezielte Auswahl des Stabes Waagen bauen, die den jeweils zu erwartenden Gewichten angepasst sind und durch Wahl der oben genannten Parameter auch solche, die Bruchteile von Mikrogrammen wägen können.

Eine hochgradige Verbesserung der Genauigkeit und auch der Empfindlichkeit dieses Waagentyps wird dadurch erreicht, daß auch mikrometerkleine Absenkungen des Fadens durch ein Okularmikrometer oder ein Kathetometer beobachtet und gemessen werden können.

Ein langer Glasfaden, der auf Mikrometerdicke ausgezogen wurde, könnte somit Gewichte im mittleren und unteren Nanogrammbereich wägen, gäbe es da nicht das große Problem, daß sich die Waagschalen nicht beliebig leicht herstellen lassen und somit bei dünneren Stäben bereits zu einer hochgradigen Durchbiegung führen, die diesen aus der Zone der Proportionalität "herauskatapultiert". Dieses Problem kann nur innerhalb gewisser Grenzen durch starke Vergrößerungen des Okularmikrometers und dafür etwas dickeren (kürzeren) Stäben umgangen werden.

 

Prinzip einer (Quarz-)Fadenwaage

vom "Salvioni-Typ

 

aus: R)

 

Die folgenden Bilder zeigen einen Nachbau der Glasfadenwaagen.

Sie wurde dem Autor von einem Physiker des "Mikroskopie-Forums" (lupus) gebaut.

Es handelt sich um eine Fadenwaage vom "Cunningham-Typ", das heißt eine Waage, die aus der grundlegenden Konstruktion von Salvioni besteht, zum genauen Ablesen der Absenkung des Glasfadens aber ein hochauflösendes Mikroskop mit Okularmikrometer aufweist.

Hier wurde ein altes aber solides "Hertel&Reuss"- Mikroskop mit einem "4"- und einem "10"-Objektiv sowie ein Messokular von Zeiss verbaut.

Der Faden ist austauschbar (Glas und Messing in verschiedenen Kalibern) und muss nach Tausch jedesmal neu geeicht werden. Dafür lassen sich dann verschiedene Messbereiche abbilden, solange der Faden den Bereich der Linearität nicht verläßt (also sich nicht zu weit durchbiegt)

Grundsätzliches Problem ist immer das Gewicht der Wagschale, das bei immer kleineren Gewichten (der Probe) einen immer größeren Teil des Messbereiches "okkupiert". Die Wägevorrichtung muss deshalb so leicht wie nur irgend möglich sein, was aber dann schnell an handwerkliche Grenzen stößt.

 

Unten der Einblick von oben in die Konstruktion, mit dem Glasfaden in seiner variablen Aufhängevorrichtung vor dem "Ablesemikroskop". Im Bild darunter an einem 0,2mm Messingdraht ein Wägeschälchen (1,2mg)

 

Die Rückseite der Waage mit der Beleuchtung (des kleinen Fensters hinter dem Faden) und der Verstellung der Aufhängevorrichtung des Fadens mithilfe einer Mikrometerschraube. Die ist notwendig, da ja der Faden im Okular des Mikroskopes bewegt wird.

 

Im Bild unten die Anordnung, die notwendig wird, wenn die Beschickung des Waagfadens mit der Schale per Hand zu "prekär" erscheint. Zum Einsatz kommt dann ein Manipulator (hier von Prior/England) der das Risiko des Verschüttens kleinster Mengen deutlich verringert.

 

Unten ein aus einem Glasröhrchen gezogener "Faden". Bei Auflage eines Gewichtes am Ende des Fadens geht dieser im Mikroskop-Sichtfeld nach "oben" und wird deshalb zur Nullstellung mit seinem oberen Rand auf die unterste Markierung gebracht.

 

 

Unten der zur Waage gehörige "Gewichtssatz". Er wurde so hergestellt, daß aus sehr dünnen Drähten mit bekannten Durchmessern definierte Längen von 5 mm und mehr unter einem Stereomikroskop abgeschnitten  und deren Gewichte dann berechnet wurden.

So wiegen z.B. 10 mm eines Kupferdrahtes von 0,09 mm Durchmesser 566 µg, ein 5 mm langes Stück eines 0,019 mm Wolframdrahtes nur 27,5 µg.

 

 

Bequemer sind Wägungen im Mikrogrammbereich mit solchen Waagen, insbesondere, wenn mehrere Wägungen hintereinander durchgeführt werden müssen.

Die folgende Waage ist eine mittlerweile selten gewordene "CAHN Gram electrobalance" aus den frühen Sechziger-Jahren.

Der Autor hat sie in einem wirklich ausgezeichneten Zustand mit Anleitung, einem vollständigen und neuwertigen Mikro-Gewichtssatz und vielen "weighing pans" bekommen.

Sie misst mit einer Genauigkeitsangabe von 0,1 µg (!) bei Wägungen bis zu einem Gramm, ist sehr robust und unempfindlich gegenüber äußeren Einflüssen und zeigt sehr konstante Messungen.

Darunter eine modernere Variante, die Cahn 26, ebenfalls für eine Messempfindlichkeit bis hinunter zu 0,1 µg.

 

Für die Fadenwaage (s.o.) ist es wichtig, das Taragewicht möglichst klein zu halten.

Dazu wurden verschiedene Techniken erdacht und eingesetzt.

Unten eine Auswahl kleiner Waagschalen, die zwischen 400 und 1000 µg wiegen.

 

Das folgende Bild zeigt das Herstellungsverfahren. Auf einem Holzstäbchen wird eine vorgeschnittene Aluminiumfolie (0,011 µm Dicke) mit einem 0,04 mm dicken Kanthaldraht fixiert. Der Knoten hält durch Aufbringen eines winzigen Kleber-Tropfens. Anschliessend wird die Folie mit feinen Skalpellen auf die gewünschte Größe gestutzt und vom Holzstab abgezogen. Ergebnis siehe Bild oben.

 

Anschliessend wird aus Platinfolie (hier noch Aluminium) ein Gefäß für das Wägegut hergestellt, in dem die Probe vorher oft geglüht wurde.

 

Unten Waagschale und Probengefäß am (0,1 mm) Glasfaden der Fadenwaage.