MIKROCHEMIE

 

 

Die (Ultra-) Mikrochemie des Manhattan-Projektes (Metallurgical-Project)

"Ultramicrochemistry is an invasion of a world almost unbelievably small with unbelievably delicate instruments.

It is the daughter of microchemistry, but a thousand times more refined.

To have obtained the needed informations about plutonium the methods of classical microchemistry would have required about a hundred times as much plutonium as was available."

 

Burris B. Cunningham, "Ultramicrochemistry", Scientific American, 1954

 

 


 

Die Mikrochemie hatte bereits vor der Zeit des 2. Weltkrieges ein hohes Niveau erreicht.

Forscher wie A.A. Benedetti-Pichler (Queens College in New York) und Kirk in Berkeley waren die Schrittmacher für eine ständige Weiterentwicklung von Verfahren, die immer kleinere Probenmengen für chemische Analysen möglich machten.

Dabei arbeiteten sie, wie aber auch andere Mikrochemiker insbesondere in Deutschland, bereits mit Mengen auch unterhalb des Mikrogrammbereiches, Kirk vorzugsweise quantitativ.

 

Die Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn 1938 in Deutschland setzte in Amerika innerhalb weniger Wochen eine fieberhafte Forschungstätigkeit in Gang, die darauf hinauslief, die außerordentlichen Energien, die die Spaltung des Uran(235)-Kerns freisetzte, nutzbar zu machen und dem zunehmend kriegsbereiteren Deutschland bei der jetzt plötzlich denkbaren Entwicklung einer Atombombe zuvorzukommen.

 

Ein außerordentlicher wissenschaftlicher Fortschritt war dann wenig später die sofort unter Geheimhaltung gestellte Entdeckung des Plutonium durch Glenn T. Seaborg, E.M. McMillan, J.W.. Kennedy und A.C.Wahl 1940.

In Uranproben (Uranylnitrat-Hexahydrat), die in immer längeren Zeitabschnitten mit Neutronen aus den neuen Kreisbeschleunigern bestrahlt worden waren, zeigten sich mehrere neu entstandene Isotope, die zunächst nur durch ihre charakteristischen Zerfallraten auffielen und unterschieden wurden.

Glenn T. Seaborg, Ed McMillan u.a. vermuteten Isotope eines neuen Elementes mit der Massenzahl 239.

Diese Massenzahl konnte, wie auch die des spaltbaren Urans-235, als besonders geeignet für eine Kernspaltung angesehen werden.

 

Im Gegensatz zum Uranisotop 235, das dann erst mit aufwändigen physikalischen Methoden vom chemisch gleichen Uran 238 hätte abgetrennt werden müssen, konnte man nach ersten Versuchen davon ausgehen, das es sich bei dem neuentdeckten Isotop um ein neues chemisches Element handelte, das sich chemisch vom Uran unterschied und damit auch durch chemische Verfahren von diesem abtrennbar war.

Diese Erkenntnis war der Startschuss für ein Projekt, das unter dem Tarnnamen "Metallurgisches Projekt" begann und dann unter bis dahin nie gesehenem Aufwand und unvorstellbaren Kosten zunächst in den Bau des ersten Plutonium-Reaktors ("B-pile" in Hanford) und dann mit dessen Hilfe in der Plutonium-Bombe mündete.

 

Bevor aber der in Rekordzeit gebaute "Brüter" die ersten größeren Mengen Plutonium liefern konnte, mußten viele wesentliche chemische und physikalische Eigenschaften des Plutonium erforscht werden.

Dazu mußten die Mengen genügen, die durch mehrere, über das Land verteilte Beschleuniger (Washington University/ St.Louis und Berkeley/Californien) durch Bestrahlung von Kilogramm-Mengen Uransalze (s.o.) über Monate erhalten werden konnten, Pu-Mengen im µg-Bereich!

Erst Ende 1943 begann der Versuchsreaktor in Oak Rich Mengen im Milligrammbereich zu liefern.

 

Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, eine Vielzahl von chemischen Versuchen (Löslichkeitsstudien, Fällbarkeiten, Oxidationsstufen,  u.v.m.) wie auch physikalische Messungen (Schmelz- und Siedepunkte, kalorimetrische Messungen, Messungen der Radioaktivität und der Kristallstrukturen) mithilfe von Verfahren der Mikrochemie und der dann neu überwiegend von B.B. Cunningham entwickelten speziellen Ultramikrochemie durchzuführen.

 

Dieses Unternehmen begann in den Räumen der Universität von Chikago und ist untrennbar mit den Namen von Seaborg, Cunningham, Werner, Wahl, Thompson, Cefola und vielen anderen verbunden, die in zum Teil sehr beengten Verhältnissen (z.B. im berühmten "room 405") aber mit hohem Engagement und oft ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit eine wissenschaftliche Großtat vollbrachten, deren Ausmass nur mit der Entwicklung der Mondlandung verglichen werden kann, auch wenn sie dann in furchtbarer Konsequenz zum Bau und Einsatz der Pu-Bombe führte und deren strahlende Hinterlassenschaften (die hochgradige Bodenverseuchung um den Hanford-Reaktor durch undichte "waste tanks") bis in die heutige Zeit zu scheinbar unlösbaren Problemen führte.

 

Nachdem die Uranproben also in den Cyclotronen monatelang einem Beschuss mit Neutronen ausgesetzt waren, wurden, anfangs noch im MetLab/Chikago, die winzigen Mengen Plutonium zunächst mit den üblichen Verfahren der Chemie abgetrennt. Dazu wurden als erstes die großen Mengen nicht umgesetzten Urans anfangs durch Extraktion (von Uranylnitrat) mit Ethylether abgetrennt.

Während sowohl das Uran, als auch das Plutonium, das erste wegen der geringen Strahlung, das andere wegen der winzigen verwendeten Mengen, keine Handhabbarkeits-Probleme machten, stellten die im Laufe der Bestrahlung ebenfalls entstandenen Spaltprodukte mit ihrer außerordentlich hohen und energiereichen Strahlung ein fundamentales Problem, auch bereits bei den Versuchen mit geringen Mengen dar.

 

Stanley Thompson, der hier mikrochemische Versuche hinter einer "Bleiburg" durchführt und dafür durch einen Spiegel sieht, (etwa 1946)

(Vorläufer der "hot caves", bzw. der "glove boxes")

Die Abschirmung auch bei den verwendeten mikrochemischen Mengen war wegen der extremen Strahlung der Spaltprodukte notwendig.

 

(aus LIFE-Mag 1947)

G.T.Seaborg in Raum 307, Gilman Hall, Berkeley, einem der Räume, in dem grundlegende Arbeiten zur Chemie des Plutonium erfolgten.

 

(aus Adventures In The Atomic Age; von Glenn T. Seaborg) 2001

Die Berechnungen bezüglich der Ausbeute an Plutonium ergab, daß aus 1,2 kg Uranylnitrat-hexahydrat (UNH) nach monatelanger "Bombardierung" mit Neutronen etwa 1 µg (!) Plutonium gewonnen werden konnte.

(1kg sind 1 Milliarde µg)

Es gab eine zweite große Herausforderung, die die Arbeitsgruppe um Seaborg zu bewältigen hatte. Das war, die mithilfe der Mikrochemie in den Vorversuchen gewonnenen Erkenntnisse bezüglich der Isolierung von Plutonium übergangslos in einen gigantisch vergrößerten Maßstab zu bringen.

Das heißt, bereits mit den hergestellten µg-Mengen mußte ein Prozeß gefunden und festgelegt werden, der wenige Jahre später genauso in milliardenfacher Vergrößerung in den Anlagen funktionieren mußte, die permanent aus Tonnen von Uran des Reaktors in Hanford Kilogramm von Plutonium für die Herstellung der Bomben in Los Alamos abtrennten. Dies war die Geburtsstunde der Wiederaufarbeitungsanlagen.

 

Man erkannte, daß dazu alle chemischen und physikalischen Prozess-Schritte in den später zu erwartenden und gewünschten Konzentrationen im µg-Maßstab vorab gesichert werden mußten und war somit gezwungen, letztlich "ultramikrochemische" Methoden in großem Umfang zu entwickeln.

 

Wenn also später im Laufe der Abtrennung des Plutonium z.B. ein Kilogramm davon in z.B. 1000 Litern Salpetersäure gelöst werden sollte, mußte man diese Konzentration im Kleinen prüfen und da nur wenige µg verfügbar waren, und dieses Experiment nicht das einzige war, das anstand, waren die Forscher also gezwungen, sagen wir 0,1 µg (100ng)  in 100 nl Säure zu lösen und dann aber auch weitere Schritte wie Fällung und Zentrifugation mit der gleichen Probe durchzuführen.

 

...of course other operations, such as filtering, stirring and so on, also had to be develloped for this small-scale work,

  but the problem was primarily one of measurement...

B.B. Cunningham

 

Seaborg versuchte zunächst, die besten Mikrochemiker des Landes für sein Projekt zusammen zu bekommen, ohne diesen dabei erklären zu dürfen, worum es ging. Die Angst, daß die deutschen Forscher bereits in einem Wettlauf mit ihnen um die "Bombe" waren, erforderte hohe Geheimhaltung. Die meisten kamen dennoch.

Die Großmeister der Mikrochemie in Amerika (Benedetti-Pichler/New York und Kirk in Berkeley) empfahlen ihre besten Leute und waren später auch selbst Teil der Plutoniumforschung, wie z.B. Paul Kirk.

Paul Kirk war es auch, der den Begriff "Ultramikrochemie" prägte. (Seaborg)

 

 

 

Burris B. Cunningham mit der Standardapparatur der Mikrochemie;

man sieht links oben das schwenkbare Mikroskop "AO Spencer LF29",

das Vergrößerungen von üblicherweise 30-fach erlaubte. Darunter auf einem einfachen Mikromanipulator ein "cone" das maximal 200 µl fassen konnte.

Gegenüber, ebenfalls auf einem einfachen Mikromanipulator eine Spritze mit einer ausgezogenen "Kapillarpipette", mit deren Hilfe kleinste Mengen Flüssigkeit in den oder aus dem cone bewegt werden konnten.

(LIFE Magazin 1946)

 

Hier die Skizze der oben sichtbaren Anordnung, wenn auch mit einem "microcone", wie im kleinen Zusatzbild vergrößert dargestellt.

(aus "Cunningham/Werner, The First Isolation...)

 

Die Größe des typischerweise verwendeten "cones" für die Mikrochemie; Fassungsvermögen etwa 200 µl

aus LIFE-Magazin

Eine ultramikrochemische Anordnung mit feststehendem "capillary cone" links und "capillary pipette" mit Mikro-spritze auf Mikromanipulator (wahrscheinlich "Gamma/ New York) unter AO Spencer LF29

 aus "Ultramicrochemistry, Cunningham, Scientific American, Feb.1954

 

Aus einer gebogenen Kapillar-pipette werden kleine Flüssigkeitsmengen auf ein Schälchen aus Platin getropft und unter Infrarotlicht getrocknet, entweder zur Wägung oder zur Messung der Radioaktivität.

  aus LIFE-Magazin

 

Die erste Aufgabe, die von Cunningham und Werner ab August 1942 mit den ersten wenigen µg Plutonium zu bewältigen war, war zunächst die vollständige Isolierung des neuen Elementes vom "Mutterelement" Uran, den höchst radioaktiven Spaltprodukten und den im Laufe der Reinigung verwendeten "carriern", wie insbesondere Cer und Lanthan.

Diese letzteren wurden gebraucht, um in mehreren Zyklen, die als "fluoride cycles" bezeichnet wurden, eine erste Reinigung durch Mitfällung als Fluorid zu erzielen.

Die letzte maximale Reinigung erfolgte dann im ultramikrochemischen Maßstab.

Das hochreine Plutonium mußte vorliegen, um insbesondere die spezifische Alpha-Aktivität messen zu können, die mitentscheidend für die Frage nach der Eignung des Elementes für eine "Bombe" war.

Die Messung der spezifischen Aktivität erforderte auch die exakte Wägung, die noch mit der Quarzfadenwaage erfolgte und als erste Wägung eines von Menschenhand geschaffenen Elementes in die Geschichte einging.

 

L.B. Werner und B.B. Cunningham im berühmten "room 405" im MetLab/Chikago

(1942)

Pu-Salz, 50-fach vergrößert in der Spitze eines "microcone" nach Zentrifugation; rechts vom Zentrifugat der kleine Flüssigkeitsmeniskus

 

 

aus 3)